Zukunft der Zahnmedizin: KI und IoT in Diagnostik, Konstruktion und Fertigung
Bestimmt die Digitalisierung die Zukunft der Zahnmedizin? Das sicher nicht, denn Zukunft wird vom Menschen gemacht. Und doch kommen keine Zahnarztpraxis und kein Labor an der Digitalisierung von Prozessen vorbei.
Grundsätzlich bietet der Wandel viele Chancen, etwa bei der CAD/CAM-Fertigung in der Praxis, stellt aber zugleich große Herausforderungen an Zahnärzte und Teams.
Digitale Sprachassistenten, Internet-of-Things (IoT), künstliche Intelligenz (KI), kognitive Technologien, Analyse-Algorithmen, datensammelnde Geräte, Big-Data, Plattform-Business … – all die smart klingenden Schlagwörter können verunsichern.
Aktuell stellt sich die Digitalisierung im klinischen Alltag vieler Zahnärzte so dar:
- Jeder liest und spricht darüber.
- Jeder denkt, der andere ist schon viel weiter.
- Kaum einer weiß, wie es wirklich funktioniert.
Nachfolgend finden Sie einen Überblick über die relevantesten Trends in der drei Bereichen Diagnostik, Fertigung und Management in der Zahnarztpraxis.
Die drei Kernbereiche der Digitalisierung in der Zahnarztpraxis
Bereich 1 - Digitalisierung und KI im Bereich der Diagnostik und Analyse
Die künstliche Intelligenz (KI) wird zukünftig als wichtiger Kollege das Team der Zahnarztpraxis unterstützen. Der Einsatz reicht von der Diagnose (Abgleich Risikofaktoren, Patientenhistorie, Anamnese) über die Auswertung von digitalen Röntgenbildern, die assistierte Planung von chirurgischen Eingriffen (z. B. Implantatposition) bis hin zur Abrechnung und Buchhaltung.
Vorteil von KI sind optimierte kognitive Fähigkeiten. Kognitive Systeme leiten aus digitalen Informationen auf Basis von lernenden Algorithmen Schlussfolgerungen und Entscheidungen ab. Dabei verarbeiten Algorithmen deutlich mehr Informationen und erkennen mehr Muster, als das menschliche Gehirn es vermag. So stellt KI verschiedene Symptome und Risikofaktoren der Anamnese und Patientenhistorie gegenüber und entwickelt Handlungsvorschläge oder Diagnoseempfehlungen (Wahrscheinlichkeitsberechnung).
Inwieweit Maschinen eine ärztliche Therapie bestimmen sollten und dürfen, ist eine ethische Frage, die es an anderer Stelle zu diskutieren gilt. Die Möglichkeiten sind da und können in vielen Fällen im Sinne des Patienten genutzt werden. Bei der Analyse von digitalen Bilddaten wird bereits heute mit KI gearbeitet. In naher Zukunft wird KI auch bei der Entscheidungsfindung den Zahnarzt unterstützen.
KI im Bereich der Bildanalyse (Diagnostik und Planung)
In Intraoralscannern steckt schon heute immer mehr künstliche Intelligenz. Die smarten Scanner werden zu Diagnostik- und Kommunikationsgeräten. Mit der AI-Kronentechnologie (Artifizielle Intelligenz, AI) werden auf Basis von Deep Learning-Algorithmen Konstruktionsvorschläge erbracht.
Mit realistischen Visualisierungen (z. B. mittels Facescanner) kann dem Patienten der Therapievorschlag präsentiert und erläutert werden. Und die Entwicklung geht rasant weiter.
In der digitalen Implantatplanung optimieren KI-Prozesse die Entscheidung bezüglich der Implantatpositionen und der Art der Restauration. Dennoch ist die Oralchirurgie ein Handwerk, das vom Chirurgen viele manuelle Fertigkeiten verlangt.
KI für das Karies-Monitoring, die Endodontie und die Kieferorthopädie
Im Bereich der Zahnerhaltung und Endodontie hat KI bereits Einzug gehalten. Einige Intraoralscanner bzw. deren Analysesoftware arbeiten bei der Kariesdetektion mit künstlicher Intelligenz. Zudem kann auf digitalen Röntgenaufnahmen eine Karies von kognitiven Systemen erkannt werden, bevor sie mit dem menschlichen Auge sichtbar wird. In der Endodontie können KI-Systeme die Behandlung bzw. die Bewertung der Situation positiv beeinflussen.
Wenn Sie mehr über Trends in der Endodontie erfahren möchten, lesen Sie auch unser Interview > Eigenschaften moderner Endodontie-Feilen.
In der Kieferorthopädie werden kephalometrische Auswertungen automatisiert vorgenommen; und das in einem Bruchteil der Zeit, die ein Mensch dafür benötigen würde.
KI im Bereich der Pathologie (bildgestützte Informationen)
Ein bereits gängiges Verfahren ist die Diagnostik anhand von Bildern aus der digitalen Cone-Beam-Computertomografie (CBCT). Sie dient als kosten- und dosiseffizientes bildgebendes Verfahren zur diagnostischen Beurteilung von Zahnerkrankungen. Für die präoperative Diagnostik und Planung ist die CBCT optimal geeignet.
Werkzeuge für ästhetisch-funktionelle Rehabilitationen (Apps, FaceScan, digitales Set-up): Bei der Planung von prothetischen Therapien ermöglichen Apps u. a. die optimierte Kommunikation mit dem Patienten. Zudem lässt sich durch das Zusammenführen der Daten aus dem Gesichtsscanner, dem Intraoralscanner und der DVT/CT ein virtueller Patient kreieren. Dies ist Basis für die realistische, individuelle Planung eines ästhetisch-funktionellen Zahnersatzes. Planung und Analyse erfolgen in Echtzeit. CAD/CAM-Entwürfe (digitales Set-up) können virtuell „anprobiert“ werden.
Bereich 2 - Digitalisierung, KI und vernetzte Geräte (IoT) in der Fertigung
Die digitale Fertigung in der Zahnmedizin hat sich etabliert. Kaum eine Praxis und kaum ein Labor arbeiten heutzutage ohne CAD/CAM-gefertigte Komponenten. Fräsmaschinen und 3D-Drucker sind gängige Fertigungstechnologien, mit denen vor allem Dentallabore den digitalen Wandel vorantreiben. Zukunftsweisender Trend hier: Die Vernetzung von Geräten in der Prozesskette, das "Internet of Things" (IoT).
Beispiele für digital gefertigte Komponenten in Praxis und Labor
- 3D-gedruckte Modelle (z. B. Aligner-Modelle) und Abformlöffel
- CAD/CAM-gefräste (ggf. gedruckte) Aufbissschienen
- CAD/CAM-gefräste Zirkonoxidgerüste (z. B. Zirlux) oder monolithische Restaurationen
- 3D-gedruckte Bohrschablonen
- 3D-gedruckter provisorischer Zahnersatz
- CAD/CAM-gefräste Totalprothesen
- CAD/CAM-geschliffene vollkeramische Einzelzahnrestaurationen
- 3D-gedruckte Modellgussgerüste (SLM-Verfahren)
Vernetzte Geräte werden die Zukunft der Fertigung in Zahnarztpraxis und Labor bestimmen
Dentale Fertigungseinheiten entwickeln sich rasant weiter. Immer mehr stehen Prozessketten im Fokus. Beim 3D-Druck (SLA, DLP) sind beispielsweise Geräte für die Nachbereitung (Reinigung und Polymerisation) auf Materialien und Drucker abzustimmen.
Zukünftig werden die verschiedenen Geräte in einer Prozesskette noch stärker miteinander vernetzt und kommunizieren miteinander (IoT). Digitale Auftragsdokumente dienen der Prozessüberwachung und -optimierung. Mit Software-Plattformen lassen sich vor- und nachgelagerte Prozesse beschleunigen sowie Fehler- und Kostenquellen minimieren. Künstliche Intelligenz lässt Prozesse verschmelzen.
CAD/CAM-Fertigungseinheiten erlauben ein nahezu autonomes Arbeiten: Vollautomatische Lagerverwaltungssysteme, intelligentes Werkzeugmanagement und integrierte Reinigungseinheit, automatischer Wechsel zwischen Nass- und Trockenmodus sind schon heute möglich. Über Chips am Fräs-Blank werden Materialinformationen ausgelesen und Prozesse gesteuert.
Für den Zahnarzt und Zahntechniker bedeuten all die Veränderungen nicht, von heute auf morgen den kompletten Arbeitsalltag umzukrempeln. Wohl aber ist der Wandel zu beobachten – mit einem offenen und einem kritischen Auge.
Während viele neue Möglichkeiten vereinfachte und verbesserte zahnärztliche Therapieschritte im Sinne des Patienten versprechen, sind einige „Innovationen“ schön gefärbt von cleveren Marketingaussagen. Um dies richtig beurteilen zu können, sind Fortbildungen hilfreich, bei denen Pioniere der digitalen Zahnmedizin über ihre Erfahrungen sprechen.
Digitale Kieferorthopädie und 3D-Druck
Der Einfluss der digitalen Abformung und Fertigung im Bereich der KFO ist groß, bereits heute gibt es vollständig digitalisierte KFO-Praxen. Zugleich wird es für Zahnarztpraxen einfacher, beliebte und lukrative KFO-Leistungen anzubieten. Die KFO zeigt besonders deutlich, wie die Digitalisierung es vereinfacht, im Sinne des Patienten zu arbeiten und zugleich sein eigenes Business auszubauen.
Bereich 3 - Digitalisierung im Unternehmen Zahnarztpraxis
Die Digitalisierung in der Zahnmedizin betrifft auch Bereiche, die nicht unmittelbar mit der Behandlung am Patienten zusammenhängen. Dieser Wandel wird sich zukünftig noch beschleunigen - unternehmerisch denkende Zahnärzte können ebenso wie ihre Patienten von dieser Entwicklung profitieren.
Permanent online und fast immer erreichbar – so ist unsere Gesellschaft heute. Wir sind daran gewöhnt, komfortabel und mit wenigen Klicks einzukaufen, Termine zu buchen, den Tisch im Restaurant zu reservieren etc. Diese Entwicklung macht vor dem Gesundheitsmarkt nicht halt. Viele Patienten erwarten digitale Angebote und smarte Services, insbesondere die Jüngeren sind verwöhnt.
Und die Zahnarztpraxis? Die kann aus diesen Entwicklungen profitieren, wenn das digitale Angebot entsprechend erweitert und modernisiert wird. Was auf den ersten Blick nach einer großen Herausforderung klingt, relativiert sich auf den zweiten Blick. Der Prozess erfolgt in der Regel schrittweise. Sukzessiv werden digitale Bausteine etabliert, so wie wir es aus dem privaten Alltag kennen. Das bedeutet aber auch: Gut informiert bleiben!
Digitale Tools etablieren sich auch im Alltag der Patienten und dies gibt der Entwicklung erneut Dynamik. Zu den Impulsgebern gehören digitale Sprachassistenten und das Internet of Things (IoT).
Beispiele für bereits erfolgreich eingesetzte digitale Technologien im Gesundheitswesen und der Zahnmedizin
- Gesundheits-Apps
- digitale Patientenakte
- digitale Gesundheitsanwendungen (Apps auf Rezept)
- digitale Versorgungsforschung
- künstliche Intelligenz (KI) in der Zahnmedizin
- digitale Transformation in Lehre und Forschung
- Telematikinfrastruktur
Unternehmen Zahnarztpraxis und der digitale Patient
Mit der Digitalisierung gewinnt der Patient an „Marktkraft“. Das gestiegene Bewusstsein für Mundgesundheit in Verbindung mit digitalen Tools (Plattformen, Apps etc.) verändert das Verhalten. Patienten sind gut informiert; über die Praxis und über gesundheitliche Belange.
Zirka 58 % der Menschen in Deutschland googeln symptom- bzw. krankheitsbezogene Informationen vor einem Arztbesuch; 62 % nach dem Arztbesuch.
– Quelle: Bertelsmann Stiftung.
Spotlight Gesundheit; 2018
Dr. Google ist immer erreichbar, schnell kontaktiert und bietet idealerweise Expertenwissen für Laien. Auch für die Zahnmedizin finden Suchende Portale mit solider Information. Eine Alternative kann die individuelle Praxis-Website sein.
Über 70 % der Menschen recherchieren online zu Krankheitsbildern.
– Quelle: Statista
für Dt. Apo-Bank; 2018
Zudem nutzen Patienten Arzt-Suche- und Bewertungsportale und tauschen sich auf Plattformen aus. Sie verfügen über Wearables sowie Apps und können auf eigene Gesundheitsdaten (z. B. Blutdruck, Puls etc.) zugreifen. Zudem rückt E-Health endlich auch in Deutschland immer näher.
Durchdachte Konzepte (z. B. in skandinavischen Ländern) zeigen das große Potenzial. Die Kommunikation zwischen Fachärzten läuft hauptsächlich papierlos. Termine, Folgerezepte etc. können über ein Portal verwaltet werden. E-Rezepte sind gängige Praxis. Der Patient hat Zugang zur eigenen elektronischen Patientenakte (ePA). Basis sind eine gute Internet-Infrastruktur und Ärzte sowie Patienten mit entsprechender e-Kompetenz.
E-Health-Konzept in Deutschland
2021: Theoretisch haben Patienten seit Januar das Recht auf eine moderne Versorgung. Krankenkassen müssen ihren Versicherten eine elektronische Patientenakte anbieten. Damit diese befüllt wird, erhalten Patienten zeitgleich einen Anspruch darauf, dass der Arzt die Daten in die ePA einträgt.
2022: Neben Befunden, Arztberichten oder Röntgenbildern lassen sich ab 2022 Impfausweis, Mutterpass, U-Heft für Kinder und Zahn-Bonusheft in der elektronischen Patientenakte speichern. Versicherte sollen die Möglichkeit bekommen, über Smartphone oder Tablet für jedes in der ePA gespeicherte Dokument zu bestimmen. Der Patient legt fest, ob der Arzt oder Zahnarzt auf die ePA zugreifen darf und welche Befunde angezeigt werden sollen.
2023: Versicherte haben die Möglichkeit, die in der ePA abgelegten Daten im Rahmen einer Datenspende freiwillig für Forschungszwecke zur Verfügung zu stellen.
Und die Entwicklung geht weiter. Mit der Blockchain-Technologie könnten Plattformen realisiert werden, die sich auf Basis von Algorithmen selbst verwalten, regulieren und kontrollieren. Manipulationen sind nicht möglich, was beispielsweise in der Abrechnung von Leistungen sinnvoll sein könnte.
Digitalisierung in Kommunikation und Marketing
Auch die Kommunikation mit Patienten, Kollegen, Partnern etc. wandelt sich mit der Digitalisierung. E-Mail, Messenger-Dienste, Plattformen … – unter Beachtung des Datenschutzes gibt es verschiedene Wege für das digitale Konsil unter Kollegen sowie für den Austausch mit Patienten.
Und natürlich ist die moderne Praxis-Website ein wichtiger Baustein in der Kommunikation und für das Marketing. Zwar sind Empfehlungen von Freunden/der Familie nach wie vor die wichtigste Quelle, um einen neuen Arzt zu finden, doch dicht dahinter folgt die Information im Internet. Zudem ist die Online-Terminbuchung für einen Großteil der Menschen mit digitaler Affinität von hoher Wichtigkeit. Diese Möglichkeit beeinflusst in vielen Fällen sogar die Wahl des Arztes.
Laut einer Umfrage wünschten sich schon im Jahr 2018 59 % der Patienten die Online-Terminvereinbarungen. 60 % der Menschen können sich vorstellen, digital mit ihrem Arzt zu kommunizieren.
– Quelle: DZW
Kurzmeldungen KW 18/2018
Für die Zahnarztpraxis bedeuten all diese Entwicklungen enorme Veränderungen. Patientenorientierung und Transparenz werden zum Erfolgsfaktor. Digitale Behandlungs- und Betreuungsprozesse von Patienten gewinnen an Relevanz.
Digitalisierung im Bereich der Unternehmensführung
Schluss mit der Zettelwirtschaft – auch das ist ein Vorteil der Digitalisierung. Die papierlose Praxis ist mit einer modernen Software problemlos umsetzbar. Zudem erlauben Praxisverwaltungssysteme effiziente und reibungslose Prozesse. Administrative Praxisabläufe wie Warenwirtschaft, Personalmanagement und Finanzverwaltung lassen sich digital organisieren und vereinfachen.
Spannend sind die Entwicklungen, die durch die weltweite digitale Vernetzung im Bereich des Einkaufs entstehen. Im Handel treten neue, oft branchenfremde Player in Erscheinung und verkaufen über digitale Plattformen ihre Produkte. Materialbestellungen erfolgen über das Internet. Die Vernetzung von Geräten und Plattformen ermöglicht in Verbindung mit Algorithmen und KI-Software eine starke Marketingkraft, die dem zielgerichteten Verkauf von Produkten dient.
Digitale Marktplätze dienen der Informationsbeschaffung und dem Preisvergleich. Hier punkten branchenspezifische Plattformen mit Expertenwissen und qualifizierten Antworten auf Produktanfragen. Hier gibt es bereits Plattformen im Dentalbereich, die aussagestark über Produkte und Entwicklungen informieren. Onlinemarktplätze könnten zukünftig zugleich als Warenwirtschaftssystem agieren. Beispielsweise werden Mindestbestände festgelegt oder Sonderkonditionen hinterlegt und direkt Bestellungen ausgelöst.
Fazit zur Zukunft der Zahnmedizin
Eines scheint sicher: Mit der Digitalisierung bleibt ein wichtiger „Aspekt“ im Mittelpunkt unseres Tuns, nämlich der Mensch.
Wir sind es, die die Digitalisierung gestalten und die intelligenten Tools und Möglichkeiten mit Leben füllen. Bleiben wir informiert und auf dem aktuellen Stand.