Fertigung von Vollprothesen: Digital vs. konventionell im Vergleich
Vollprothesen gehören zum Standardportfolio der modernen Zahntechnik. Und während die digitale Fertigung von festsitzendem Zahnersatz in den meisten Dentallaboren fester Bestandteil ist, wirft die digitale Totalprothetik noch Fragen auf. Die primäre Frage dabei lautet: Können digitale Technologien zur Fertigung von Totalprothetik das konventionelle Vorgehen ersetzen?
Für eine sachliche Antwort sollten Vor- und Nachteile der beiden Verfahren gegenübergestellt werden. Grundsätzlich bedarf die Totalprothetik – egal ob analog oder digital – eines hohen Erfahrungsschatzes aufseiten der Zahnmedizin und der Zahntechnik. Zudem ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Zahnarztpraxis und Dentallabor vorausgesetzt.
Konventionelle Fertigung von Vollprothesen - Ein Überblick
Für das Herstellen von Totalprothesen haben sich in den vergangenen Jahrzehnten verschiedene Konzepte etabliert. Der konventionelle Fertigungsprozess ist im Dentallabor mit vielen manuellen Arbeitsschritten und einem vergleichsweise hohen Zeitaufwand verbunden.
In der Regel sind bis zur fertigen Totalprothese sechs Behandlungssitzungen notwendig.
- Anatomische Abformung (Konfektionslöffel, Alginat)
- Individuelle Abformung (Funktionslöffel mit Abformen der Funktionsränder) und ggf. provisorische Kieferrelationsbestimmung
- Kieferrelationsbestimmung (Bissschablone bzw. je nach Systematik die Bestimmung der zentrischen Relation, z. B. Pfeilwinkelregistrat) sowie Evaluierung der ästhetischen und funktionellen Parameter (z. B. Lachlinie, Ästhetiklinien und Ebenen) und phonetische Kontrolle
- Einprobe der Wachsaufstellung (Kontrolle von Ästhetik, Funktion, Okklusion, Phonetik)
- Eingliederung der fertigen Prothese
- Remontage zur Anpassung der Prothese und Kontrolle
Das grundlegende Konzept der Prothesenherstellung ist zwar seit Jahrzehnten unverändert, gleichwohl haben sich die Materialien weiterentwickelt. So sind beispielsweise Konfektionszähne heute deutlich ästhetischer und in ihren Werkstoffeigenschaften optimiert.
Vorteile der konventionellen Totalprothetik
Das Vorgehen hat sich bewährt und wird sowohl im zahnmedizinischen Studium als auch in der zahntechnischen Ausbildung umfänglich gelehrt. Die Studienlage ist groß; auch gibt es ausreichend Langzeiterfahrung.
Die Versicherer (Krankenkassen) übernehmen die Kosten für die reguläre konventionelle Totalprothese in der Regel problemlos (Festzuschuss, Regelversorgung).
Es bedarf keiner kostenintensiven Technologien – weder in der Zahnarztpraxis noch im Dentallabor. Zudem lässt sich auf manuellem Weg mit Know-how, Fingerspitzengefühl und entsprechendem Zeitaufwand eine sehr individuelle ästhetische Gestaltung umsetzen.
Trotz der vielen Vorteile gibt es Faktoren, die bei der konventionellen Fertigung von Totalprothesen als nachteilig zu beurteilen sind.
Nachteile der konventionellen Totalprothetik
Zeit- und Arbeitsaufwand
Die konventionelle Fertigung von Vollprothesen bedarf vergleichsweise vieler Behandlungstermine. Auch im Dentallabor sind zahlreiche Arbeitsschritte notwendig. Dementsprechend hoch sind potenzielle Fehlerquellen.
In vielen Laboren wird die konventionelle Totalprothetik stiefmütterlich behandelt und ist bei Zahntechnikerinnen und Zahntechnikern wenig populär. Individueller Löffel, Bissschablone, Wachsaufstellung, einbetten, Kunststoff pressen, ausarbeiten und polieren – jeder, der schon einmal eine Totalprothese gefertigt hat, kennt den Aufwand. Dazu kommt, dass die Totalprothese wirtschaftlich wenig rentabel ist.
Zusätzlich zur arbeitsintensiven Fertigung macht die gesundheitliche Belastung die konventionelle Prothesenherstellung unattraktiv. Die Gefahr durch PMMA-Dämpfe bzw. das Einatmen von Kunststoffstäuben ist bekannt. Zahntechnikerinnen und Zahntechniker können sich schützen, doch wie oft wird vergessen, bei jedem Arbeitsgang die Absaugung einzuschalten und/oder Schutzhandschuhe zu tragen?!
Passgenauigkeit und Werkstoffkunde
Bei der manuellen Prothesenherstellung kann es zu fertigungstechnischen Passungsschwierigkeiten kommen (z. B. Polymerisationsschrumpfung). Mit viel Erfahrung lässt sich der Herstellungsprozess zwar sehr gut abstimmen, allerdings führen schon kleinste Fehler bzw. Unstimmigkeiten im Prozess zu erheblichem Mehraufwand.
Digitale Fertigung von Vollprothesen im Überblick
Die digitale Totalprothetik wird als nächster großer Wandel im Dentallabor beschrieben. Soweit die Theorie.
Und die Praxis? Hier gilt: Digitale Technologien dürfen kein Selbstzweck sein, sondern müssen Antworten auf allgemeine Veränderungen geben. Hohe Patienten- und Kundenansprüche, wirtschaftlicher Druck, steigende Anforderungen an Qualitätssicherung, Fachkräftemangel etc. – all diesen Herausforderungen können Dentallabore mit der Digitalisierung zahntechnischer Arbeitsschritte begegnen. Der Trend entwickelt sich daher immer mehr hin zu digitalen Fertigungsmethoden - auch bei Vollprothesen.
Doch wie gut können digitale Fertigungsmöglichkeiten - von der Datenerfassung bis zur Fertigung in der Fräsmaschine oder im 3D-Drucker das konventionelle Vorgehen ersetzen? Sind digitale Totalprothesen vergleichbar gut wie die von geübter Zahntechnikerhand analog gefertigten Prothesen? Können auf digitalem Weg individuelle Prothesen entstehen, die eine ähnlich gute Ästhetik und Funktion aufweisen wie gewohnt?
Ja, sagen die einen – klares Nein ist oft von Kritikern zu hören. Und wie so oft im Leben: Es gibt kein „Schwarz oder Weiß“. Gerade in der digitalen Totalprothetik unterscheiden sich Systeme, Workflows und Arbeitsprotokolle teilweise signifikant.
Vor dem Einstieg in die digitale Totalprothetik lohnt es sich, die verschiedenen Möglichkeiten kennenzulernen und individuell zu beurteilen.
- Einen ausführlichen Beitrag zur digitalen Fertigung finden Sie im Henry Schein MAG unter:
Digitale Totalprothetik – Vorteile und Verfahrensweisen
Vorteile der digitalen Totalprothetik
Großer Vorteil der digitalen Fertigung ist die Effizienz. Die Behandlungssitzungen für die Erstellung einer Vollprothese können – je nach Konzept – deutlich reduziert werden. In der Regel kann dem Patienten nach zwei bis vier Sitzungen die Prothese eingegliedert werden. Besonders ältere Patienten empfinden dies als sehr komfortabel.
Zeit- und Arbeitsaufwand
Durch die Digitalisierung der Prothesenherstellung lassen sich diverse Arbeitsschritte im Dentallabor automatisieren. Zudem macht die Arbeit mit Maus und Tastatur die Totalprothetik wieder attraktiv. Insbesondere jüngere Zahntechnikerinnen und Zahntechniker sind im Umgang mit digitalen Technologien geschickter und haben Spaß daran.
Zwar ist CAD/CAM auch in der Totalprothetik kein Kinderspiel, aber doch weniger mühselig und sauberer sowie effizienter als der manuelle Weg. Zudem können Kapazitätsengpässe – Stichwort Fachkräftemangel – im Labor mit digitalen Technologien teilweise ausgeglichen werden.
Reproduzierbarkeit
Je nach Konzept ist im digitalen Workflow eine Vorab-Einprobe mittels Monoblockprothese möglich. Sollte eine Einprobe in der Praxis nicht möglich sein, lässt sich durch eine digitale Vorschau das Abbild der Prothese im Mund des Patienten prüfen (Stichwort: 3D-Gesichtsscan).
Vorteil des digitalen Vorgehens ist auch die Möglichkeit, beinah vollautomatisch Duplikat-Prothesen zu generieren. Zudem sind das Standardisieren der Abläufe und die besseren Möglichkeiten der Qualitätskontrolle als Argumente für das digitale Vorgehen zu nennen.
Passgenauigkeit und Werkstoffkunde
Wweitere Vorteile der digitalen Fertigung von Vollprothesen sind Klassiker der digitalen Fertigung allgemein: Präzision, Reproduzierbarkeit, Materialqualität, Biokompatibilität.
Insbesondere CAD/CAM-Blanks (subtraktive Herstellung) bieten nennenswerte Vorteile. Da die Blanks industriell gefertigt werden, ist die Materialqualität in der Regel konstant gut.
Zudem ist die Passung der digital gefertigten Prothesenbasis – je nach Werkstoff – besser als die Basis aus dem konventionellen Prozess. Es kann angenommen werden, dass die Gesamtfestigkeit deutlich erhöht ist. Zudem weisen digitale Totalprothesen in der Regel kaum Restmonomer auf, was der Biokompatibilität zugutekommt.
Zugleich wirkt sich die hohe Materialqualität auf die Oberflächeneigenschaften aus. Untersuchungen zeigen, dass CAD/CAM-gefertigte Prothesen glattere Oberflächen aufweisen als Prothesen aus konventioneller Herstellung. Dies hat positiven Einfluss auf die Hygienefähigkeit; die mikrobielle Adhäsion an den Oberflächen reduziert sich. Der Biofilm lässt sich leichter entfernen.
Nachteile der digitalen Fertigung von Totalprothetik
Bei all den Fürsprachen für die digitale Fertigung gibt es auch Nachteile, die bei neutraler Bewertung nicht unbeachtet bleiben sollten. Die digitale Totalprothetik ist ein noch relativ junges Thema der Zahnmedizin. Daher existiert vergleichsweise wenig Studienmaterial und kaum Langzeiterfahrungen.
Das Behandlungsteam muss sich auf einen neuen Workflow einstellen, wobei bei vielen Systemen der klinische Ablauf nahezu unverändert bleiben kann. Im Dentallabor müssen entsprechend geschulte Expertinnen oder Experten arbeiten. Zudem bedarf es einer funktionierenden digitalen Infrastruktur. Fertigungstechnologien (z. B. CAD/CAM-5-Achs-Fräsgerät) müssen vorhanden sein und entsprechende Kapazitäten bieten.
Des Weiteren ist bei der subtraktiven Fertigung der Materialverschleiß vergleichsweise hoch (CAD/CAM-Blank). Auch sind bei einigen Systemen die Individualisierungsmaßnahmen (z. B. Zahnaufstellung) eingeschränkt. Umstellungen nach einer Einprobe können – je nach System – nicht oder nur begrenzt erfolgen.
Letztlich wirft auch die Abrechnung der digitalen Totalprothese noch immer Fragen auf. Insbesondere für die Abrechnung über die BEL sind im Sinne des Patienten praktikable Lösungen gefragt, die den digitalen Workflow in die Kassenabrechnung einbinden.
Fazit zu Vergleich digitaler und herkömmlicher Fertigung von Vollprothesen
Digital vs. konventionell – um eine informierte Entscheidung treffen zu können, sollten die Vor- und Nachteile der jeweiligen Verfahren berücksichtigt werden.
Den aktuellen Herausforderungen können Dentallabore mit der Digitalisierung und Automatisierung begegnen. Die Totalprothetik lässt sich auf digitalem Weg gut abbilden. Die Möglichkeiten sind da und können genutzt werden.
Letztlich gilt: Bei aller Produktivität sollte das Ergebnis mindestens vergleichbar sein mit dem, was im Dentallabor seit Jahrzehnten händisch gefertigt wird...
…. am liebsten natürlich deutlich besser.
Annett Kieschnick, Zahntechnikerin und Fachautorin